Wilson Alves Pereira
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Kündigung trotz unverschuldeter Geldnot des Wohnungsmieters

BGH, Urteil vom 4. 2. 2015 - VIII ZR 175/14

Die vollständige Entscheidung lautet:

Das BerGer. hat den Räumungsanspruch des Kl. (§ 546 I BGB) rechtsfehlerfrei für begründet erachtet, weil das Mietverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 12.3.2014 wirksam beendet worden ist. Zu diesem Zeitpunkt war der Bekl. mit der Entrichtung der Miete (§ 535 II BGB) für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug, so dass ein für die ausgesprochene fristlose Kündigung erforderlicher wichtiger Grund iSv §§ 543 I 1, II 1 Nr. 3 Buchst. a, 569 III Nr. 2 S. 1 BGB vorgelegen hat.
[13]1. Das BerGer. durfte – anders als die Revision meint – über das auf die Kündigung des Kl. vom 12.3.2014 gestützte Räumungsbegehren in der Sache entscheiden. Denn der Kl. hat diesen Klagegrund zulässigerweise im Wege der Anschlussberufung (§ 524 ZPO) in das Berufungsverfahren eingeführt.
[14]a) Das BerGer. ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine hilfsweise Klageänderung vorgelegen hat, als der Kl. im Berufungsrechtszug sein Räumungsbegehren nunmehr auch auf die Kündigung vom 12.3.2014 gestützt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert und durch den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH, GRUR 2012, 180 Rn. 19; NJW 2008, 1953 Rn. 15, jew. mwN). Dementsprechend hat der Kl., der erstinstanzlich mit dem auf die Kündigung vom 30.8.2013 gestützten Räumungsbegehren durchgedrungen war, dadurch, dass er dieses Begehren zusätzlich mit der Kündigung vom 12.3.2014 unterlegt hat, einen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt, nämlich ein Räumungsbegehren, das hilfsweise auf diese erneute Kündigung und den darin geltend gemachten Kündigungsgrund gestützt war (vgl. Senat,GE 2013, 117 = BeckRS 2013, 00267 Rn. 8). Die auf diese Weise herbeigeführtenachträgliche (Eventual-)Klagehäufung (§ 260 ZPO) ist deshalb wie eine Klageänderung iSd §§ 263, 533 ZPO mit den dafür geltenden Regeln zu behandeln (vgl. BGH,NJW 2007, 2414 Rn. 8; NJW 1985, 1841 [unter 4], jew. mwN; BGH, GE 2013, 117 = BeckRS 2013, 00267 Rn. 8).
[15]b) Den neuen Klagegrund konnte und musste der Kl. zweitinstanzlich im Wege eines Anschlussrechtsmittels in den Rechtsstreit einführen. Denn der Berufungsbeklagte, der seine in erster Instanz erfolgreiche Klage erweitern oder auf einen neuen Klagegrund stellen will, muss sich dazu gem. § 524 ZPO der Berufung der Gegenseite anschließen. Das gilt entgegen der Auffassung der Revision auch dann, wenn – wie hier – die Einführung des neuen Klagegrundes eine Änderung des Sachantrags nicht erforderlich macht. Auch in einem solchen Fall will nämlich der Berufungsbeklagte, der im Berufungsrechtszug seine Klage auf einen anderen Klagegrund stützt, damit mehr erreichen als die bloße Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über den mit der Klage verfolgten Anspruch (BGH, GRUR 2012, 180 Rn. 22; NJW 2008, 1953).
[16]c) Rechtsfehlerfrei ist das BerGer. weiter davon ausgegangen, dass die Anschlussberufung auch sonst den Anforderungen des § 524 ZPO genügt. Insoweit erhebt auch die Revision keine Beanstandungen. Insbesondere ist es unschädlich, dass der Kl., als er sich in seiner Berufungserwiderung auf die spätere Kündigung gestützt hat, dieses Vorgehen nicht als Anschlussberufung bezeichnet hat. Für die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels ist keine dahingehende ausdrückliche Erklärung erforderlich. Es genügt vielmehr jede Erklärung, die sich ihrem Sinn nach als Begehren auf Abänderung des Urteils erster Instanz darstellt. Dementsprechend kann der Anschluss an das Rechtsmittel der Gegenseite auch konkludent in der Weise erfolgen, dass der Kl. – wie im Streitfall – sein im Übrigen unverändertes Klagebegehren auf einen weiteren Klagegrund stützt (BGH, GRUR 2012, 180 Rn. 26).
[17]2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das BerGer. zu Recht angenommen, dass der Bekl. bei Ausspruch der Kündigung vom 12.3.2014 mit der Zahlung der Miete für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug war. Dass der Bekl., um die Miete entrichten zu können, auf Sozialleistungen einer öffentlichen Stelle angewiesen war und diese Leistungen rechtzeitig beantragt hatte, ändert an dem – neben den hier gegebenen Voraussetzungen des § 286 I 1, II Nr. 1 BGB für einen Verzugseintritt erforderlichen – Vertretenmüssen (§ 286 IV BGB) ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass der zuständige Träger der Sozialhilfe nach Kündigungsausspruch zur Übernahme der Mietschulden verpflichtet worden ist.
[18]a) Zur Verantwortlichkeit des Schuldners und damit auch zu der von § 286 IV BGB geforderten Zurechnung einer Nichtleistung trotz Fälligkeit sieht § 276 I 1 BGB vor, dass der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Eine solche strengere Haftung besteht aber nach allgemeiner Auffassung bei Geldschulden. Danach befreit eine Leistungsunfähigkeit auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, um die es hier geht, den Schuldner auch dann nicht von den Folgen des Ausbleibens der (rechtzeitigen) Leistung, wenn sie auf unverschuldeter Ursache beruht. Vielmehr hat jedermann nach dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung, das § 276 I 1 BGB genauso zu Grunde liegt wie der Vorgängerregelung des § 279 BGB aF und das im Übrigen auch aus dem geltenden Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht abzuleiten ist, ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (BGHZ 107, 92 [102] = NJW 1989, 1276 mwN; BGH, NJW 2002, 1123 = WM 2002, 347 [unter II 3 b]; BGHZ 150, 187 [194] = NJW 2002, 1872; ebenso auch BT-Drs. 14/6040, 132).
[19]b) Dieses Verständnis des Vertretenmüssens im Falle mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit gilt auch für Mietzahlungspflichten und die bei Ausbleiben der Miete bestehenden Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters aus wichtigem Grund nach § 543 II 1 Nr. 3 BGB (Senat, NZM 2005, 334 [unter II 2 d cc]; Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearb. 2014, § 543 Rn. 56 a; Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl., § 543 Rn. 96 f.; Wiek, WuM 2010, 204 [205], jew. mwN). Soweit in der Instanzrechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten oder jedenfalls erwogen wird, ein Mieter, der Sozial¬leistungen einer öffentlichen Stelle beziehe, genüge seinen Pflichten zur Beschaffung der zur Entrichtung der Miete benötigten Geldmittel bereits dann, wenn er alles ihm Obliegende und Zumutbare getan habe, um die öffentliche Stelle zur pünktlichen Zahlung der für seine Unterkunft geschuldeten Miete zu veranlassen (LG Bonn, Beschl. v. 10.11.2011 – 6 T 198/11, BeckRS 2012, 01645; Urt. v. 6.11.2014 – 6 S 154/14, BeckRS 2014, 23580; LG Wiesbaden, WuM 2012, 623 [624] = BeckRS 2012, 23226; ähnl. LG Berlin, NZM 2013, 121 [122]; WuM 2014, 607 = BeckRS 2014,14958), trifft dies nicht zu.
[20]aa) Zwar braucht sich – wie der Senat klargestellt hat – ein hilfebedürftiger Wohnungsmieter die Säumnis einer öffentlichen Stelle, die die Kosten seiner Unterkunft zu übernehmen hat, nicht gem. § 278 BGB als eigenes Verschulden zurechnen zu lassen. Denn eine Behörde, die im Rahmen der Daseinsvorsorge staatliche Transferleistungen an einen Bürger erbringt, ist hierbei nicht Erfüllungsgehilfin des Mieters zur Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinem Vermieter (Senat, NJW 2009, 3781 =NZM 2010, 37 Rn. 30). Das ändert entgegen der Auffassung der Revision aber nichts daran, dass der Mieter verschuldensunabhängig für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat.
[21]Dementsprechend sind auch die nach § 543 II 1 Nr. 3 BGB allein auf den Umstand des Zahlungsverzugs abstellenden Kündigungsgründe vom Gesetzgeber so konzipiert worden, dass sie – anders als §§ 543 I, 573 II Nr. 1 BGB (dazu Senat, NZM 2005, 334; NJW 2009, 3781 = NZM 2010, 37 Rn. 26) – eine Berücksichtigung von persönlichen Umständen und Zumutbarkeitserwägungen grundsätzlich nicht zulassen (Senat, NJW-RR 1987, 903 = WM 1987, 932 [unter II 1 c]). Vielmehr ist danach bei Vorliegen der Tatbestände des § 543 II BGB allein aus diesem Grund eine außerordentliche fristlose Kündigung möglich, ohne dass die in § 543 I BGB genannten Abwägungsvoraussetzungen noch zusätzlich erfüllt sein müssen. Denn nach der Gesetzessystematik und den ihr zu Grunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen handelt es sich bei den in § 543 II 1 Nrn. 1 bis 3 BGB aufgeführten, die (objektive) Verletzung bestimmter mietrechtlicher (Kardinal-)Pflichten von erheblichem Gewicht betreffenden Kündigungsgründen um gesetzlich typisierte Fälle der Unzumutbarkeit einer weiteren Fortsetzung des Mietverhältnisses. Soweit deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind, ist danach grundsätzlich auch ein wichtiger Grund iSv § 543 I BGB zur fristlosen Kündigung gegeben (vgl. Senat, NJW 2010, 3020 = NZM 2010, 696 Rn. 15; NJW 2009,2297 = NZM 2009, 431 Rn. 16 mwN; WM 1969, 625 = BeckRS 1969, 31173912 [unter IV 3 c]).
[22]bb) Gegenläufige Wertungskriterien, die eine abweichende rechtliche Beurteilung der auf Grund mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit des Mieters und seinem Angewiesensein auf öffentliche Sozialleistungen ausgebliebenen Mietzahlungen und einer hierauf gestützten Kündigung tragen könnten, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere steht der von ihr hervorgehobene Umstand, dass der Bekl. bei dem für ihn zuständigen Sozialhilfeträger rechtzeitig die Übernahme seiner Wohnungskosten beantragt und dieser die Übernahme – wie revisionsrechtlich zu unterstellen ist – zunächst zu Unrecht verweigert hatte, einer Wirksamkeit der Kündigung des Kl. vom 12.3.2014 nicht entgegen.
[23]Der Gesetzgeber, der es seit Langem als eine in der Sozialstaatsverpflichtung des Art. 20 I GG angelegte Aufgabe begreift, den vertragstreuen Mieter vor willkürlichen bzw. vor nicht von berechtigten Interessen des Vermieters getragenen Kündigungen und damit dem Verlust seiner Wohnung zu schützen (vgl. nur BT-Drs. 7/2011, 7), hat die in Rede stehende Problemlage gesehen, sie jedoch nicht dadurch zu bereinigen versucht, dass er – abweichend von den sonst geltenden rechtlichen Maßstäben – die Anforderungen an die Leistungspflichten des Mieters und ein Vertretenmüssen von Mietzahlungsrückständen zu Lasten des Vermieters herabgesetzt und dadurch die Kündigungsvoraussetzungen des § 543 II 1 Nr. 3 BGB verändert hat. Er hat dem Interesse des durch einen erheblichen Mietrückstand vertragsuntreu gewordenen Mieters an einem Erhalt der gemieteten Wohnung vielmehr dadurch Rechnung getragen, dass er ihm – allerdings vorrangig zum Zwecke der im allgemeinen Interesse liegenden Vermeidung von Obdachlosigkeit – durch § 569 III Nr. 2 S. 1 BGB genauso wie zuvor schon durch § 554 II Nr. 2 BGB aF die Möglichkeit zur einmaligen Nachholung rückständiger Mietzahlungen innerhalb von zwei Jahren eingeräumt hat, um bei deren Einhaltung eine auf den eingetretenen Mietzahlungsverzug gestützte Kündigung unwirksam werden zu lassen (BT-Drs. 14/4553, 64 = NZM 2000, 415 [447]).
[24]Zugleich hat der Gesetzgeber es bei Verfolgung dieses Ziels genügen lassen, dass eine Befriedigung des Vermieters nicht sofort, wie in §§ 535 II, 556 b I BGB vorgesehen, durch Entrichtung der bis dahin fälligen Miete oder Entschädigung, sondern durch Vorlage der entsprechenden Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle erfolgt (vgl. bereits BT-Drs. IV/806, 10). Auf Grund der Erkenntnis, dass sich die ursprünglich vorgesehene Nachholungsfrist von einem Monat für die Sozialhilfebehörden häufig als zu kurz erwiesen hat, hat er, um diesen Behörden ein auf die Vermeidung von Obdachlosigkeit finanziell schwacher Mieter gerichtetes Tätigwerden zu erleichtern, bei Schaffung des §569 III Nr. 2 S. 1 BGB schließlich die Schonfrist für die Nachholung der Zahlung der rückständigen Miete und der fälligen Nutzungsentschädigung oder der Vorlage einer entsprechenden Verpflichtungserklärung um einen Monat auf zwei Monate verlängert (BT-Drs. 14/4553, 64 = NZM 2000, 415 [447]; vgl. dazu auch Senat, NJW 2010, 3020= NZM 2010, 696 Rn. 21).
[25]Durch diese Sonderregelung (vgl. Senat, NJW 2010, 3020 = NZM 2010, 696) hat der Gesetzgeber – allerdings abschließend – im allgemeinen Interesse zugleich auch dem Anliegen eines leistungsunfähigen Mieters, eine auf einen erheblichen Mietzahlungsverzug gestützte fristlose Kündigung des Vermieters nachträglich ungeschehen zu machen und ihm so die gemietete Wohnung zu erhalten, Rechnung getragen (iErg ebenso Blank in Schmidt-Futterer, § 543 Rn. 97). Die dem Mieter auf diese Weise kraft Gesetzes einmalig eingeräumte Nachfrist zur Beschaffung der zur Mietzahlung erforderlichen Mittel, zumindest aber zur Herbeiführung der erforderlichen Verpflichtungserklärung, kann entgegen der Auffassung der Revision deshalb nicht dahin erweitert werden, dass über den eindeutigen Gesetzeswortlaut hinaus bereits die Beantragung der zur Erbringung der Mietzahlungen erforderlichen öffentlichen Mittel genügen soll. Denn die damit verbundene Ungewissheit, den Gebrauch der Mietsache weiterhin gewähren zu müssen, ohne als Gegenleistung zumindest die Sicherheit einer Begleichung der bis dahin fälligen Mietrückstände zu haben, hat der Gesetzgeber dem Vermieter über den zweimonatigen Schonfristzeitraum hinaus gerade nicht mehr aufbürden wollen.
[26]c) Da nach den unangegriffenen Feststellungen des BerGer. bereits die unter dem 17.4.2013 wegen der bis dahin seit Januar 2013 aufgelaufenen Mietrückstände ausgesprochene fristlose Kündigung durch die im August 2013 abgegebene Verpflichtungserklärung des Jobcenters gem. § 569 III Nr. 2 S. 1 BGB unwirksam geworden war, kommt auch eine erneute Anwendung dieser Bestimmung hinsichtlich der auf den weiteren Mietzahlungsverzug im Zeitraum von Oktober 2013 bis März 2014 gestützten Kündigung vom 12.3.2014 von vornherein nicht mehr in Betracht (§ 569 III Nr. 2 S. 2 BGB). Das Mietverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung vielmehr wirksam beendet worden.